Seit die Telekom Anfang 2015 den Antrag auf Öffnung der Nahbereiche für VDSL-Vectoring bei der Bundesnetzagentur gestellt hat, gab es deutlichen Protest von den Telekom-Wettbewerbern. Ein Versuch, die letzte Meile zu Remonopilisieren, wurde der Telekom vorgeworfen. Nun ist endlich ein Entscheidungsentwurf da und obwohl ich sonst eher Telekom-kritisch argumentiere, sehe ich diesen positiv.
Worum geht es eigentlich?
Wenn sowohl im Hauptverteiler der Telekom ein Indoor-DSLAM (bzw. -MSAN) als auch ein Outdoor-MSAN im Nahbereich Kunden auf benachbarten Leitungen bedient, dann hat das Signal aus dem Indoor-MSAN bereits einiges an Strecke zurückgelegt und ist daher an der Stelle, wo auf der Nachbarleitung der Outdoor-MSAN sein Signal mit voller Leistung einspeist, bereits geschwächt und wird daher durch Crosstalk (Übersprechen zwischen den Leitungen) stärker in Mitleidenschaft gezogen. Um das zu vermeiden, wurde der Aufbau von Outdoor-MSAN erst ab mehr als 550 Metern (Kabel-)Entfernung zum Hauptverteiler – außerhalb des sogenannten Nahbereichs – gestattet.
VDSL-Vectoring hat damit nun gleich zwei Probleme:
- Aktuelle Vectoring-MSAN sind nicht „Hauptverteilertauglich“, weil dort zu viele Anschlüsse mittels der Vectoringtechnik „unter einen Hut“ gebracht werden müssten. D.h. um Kunden, die über Kabelverzweiger im Nahbereich versorgt werden, Vectoring anbieten zu können, müsste dieser Kabelverzweiger im Nahbereich zu einem Outdoor-MSAN ungebaut werden.
- Damit Vectoring überhaupt funktioniert, müssen alle VDSL-Anschlüsse im jeweiligen Verzweigerkabel vom selben MSAN bedient werden, damit dieser die gegenseitigen Störeinflüsse berücksichtigen und ausgleichen kann.
Die Telekom hat Anfang 2015 bei der Bundesnetzagentur daher den Antrag gestellt, in allen Nahbereichen Outdoor-MSAN zur Erschließung mit VDSL-Vectoring aufstellen zu dürfen. Im Gegenzug würde sie sich zur Erschließung wirklich aller Nahbereiche – nicht nur der Rosinen – verpflichten.
Warum haben die Wettbewerber damit Probleme?
Für einige Wettbewerber bedeutet dies de facto den „Rauswurf“ aus den Hauptverteilern sofern sie VDSL angeboten haben. Für andere Wettbewerber, die sich anderer Technologien bedient haben, bedeutet dies eine veränderte Konkurrenzsituation.
Warum sehe ich die Entscheidung dennoch positiv?
Sieht man sich die verschiedenen Wettbewerber, die gegen Nahbereichsvectoring argumentiert haben, genauer an, dann wird schnell klar, dass das große Geschrei unbegründet ist.
Die Kabelnetzbetreiber, allen voran Vodafone (mittels Kabel Deutschland) und Unity Media, nutzen komplett eigene Infrastruktur und haben somit durch Nahbereichsvectoring keinen technisch Nachteil. Ihr Gejammer kommt nur daher, dass ihr Geschwindigkeitsvorsprung – zumindest auf den Downstream bezogen – gegenüber der Telekom (und deren Resellern) dadurch wieder kleiner wird.
Die großen Wettbewerber mit eigener ADSL-Infrastruktur, Vodafone (ohne Kabel Deutschland) und Telefonica O2, haben bereits vor längerem angekündigt, verstärkt auf Bitstream-Vorleistungen der Telekom für VDSL setzen zu wollen. Beide haben also durch das Nahbereichsvectoring auch keinen technischen Nachteil sondern profitieren von den höheren möglichen Geschwindigkeiten für ihre Bitstream-Anschlüsse.
Bleiben noch die kleineren regionalen Anbieter und Stadtnetzprovider, wie z.B. Ewetel, M-Net oder NetCologne, die möglicherweise eigenes VDSL-Equipment in manchen Hauptverteilern aufgebaut haben, dass dadurch nun überflüssig wird und künftig durch Bitstream-Vorleistungen ersetzt werden müsste. Ja, hier sehe ich technisch und wirtschaftliche Nachteile, da diese Anbieter zukünftig evtl. weniger Flexibilität bei Anschlussschaltungen haben und evtl. noch nicht abbezahlte Hardware in den Ruhestand schicken müssen. Nur deswegen allerdings allen 9.000 Nahbereichen Vectoring vorzuenthalten und die Bewohner damit für die geringe Entfernung zum Hauptverteiler sogar zu bestrafen wäre doch zu viel der Rücksichtnahme.
Offenbar hat man das bei der BNetzA ähnlich gesehen und will den Telekom-Wettbewerbern ebenso den Ausbau von Nahbereichen erlauben, vorausgesetzt die Ausbauzusage geht bis Mai 2016 ein und der Wettbewerber ist um den jeweiligen Nahbereich herum bereits jetzt flächendeckener mit VDSL präsent als die Telekom. Problem dabei ist jedoch wiederum die potentielle „Rosinenpickerei“, wodurch die verbleibenden Nahbereiche für die Telekom unrentabel werden könnten.
Warum nicht gleich Glasfaser bis in die Wohnung?
Ja, das wäre freilich eine feine Sache, aber hier bin ich realistisch: Für die großflächige FTTH-Erschließungen sind die Nutzer hierzulande zu geizig, zu bequem und technisch zu wenig versiert. Das führt zu der bizarren Situation, das sich viele Wohnungseigentümer bzw. Eigentümergemeinschaften gegen eine Erschließung sträuben: „Wir haben doch schnelles Internet über das Kabelnetz.“ (mit lausigem Upstream), „Wir wollen nicht schon wieder Bauarbeiten in den Häusern.“, „Warum soll schon wieder im Garten gebaggert werden?“ oder „Mir reichen die 16 MBit/s über den Kupferanschluß, warum soll ich monatlich 10 EUR mehr bezahlen?“
Besser in naher Zukunft schnellere Anbindungen in den Nahbereichen als irgendwann in ferner Zukunft FTTH. Möglicherweise kommt der Appetit auf mit dem Essen und der Wunsch nach echten FTTH-Anschlüssen folgt umso schneller.