Nachdem seit dem 22. April 2013 offiziell ist, dass die Telekom bei Ihren Call & Surf und Entertain Tarifen die Übertragungsgeschwindigkeit ab einem bestimmten Volumen auf nur noch 384 KBit/s drosseln möchte, hat man versucht das losgetretene PR-Desaster wieder abzumildern und dabei ein paar interessante Zahlen genannt, mit denen ich im folgenden etwas rechnen möchte. Zuerst eine Zusammenfassung der von der Telekom auf verschiedensten Wegen mitgeteilten Zahlen:
- Es sollen 8 Milliarden Euro in den Netzausbau investiert werden, deswegen muss man Intensivnutzer stärker zur Kasse bitten.
- Die Drosselung wird frühestens ab 2016 technisch umgesetzt werden, bis dahin rechne man mit 4mal so viel Datenaufkommen wie bisher.
- Es wird im kleinsten Tarif ab 75 GB monatlichem Traffic gedrosselt werden.
- Nur 3% der Breitbandkunden seien von der Drosselung betroffen, diese würden aber etwa 30% des Datenaufkommens generieren.
- Der durchschnittliche Breitbandkunde generiert derzeit 15 bis 20 GB Datenaufkommen im Monat.
- Auch 2016 soll es noch echte Flatrates geben, die dann aber 10 bis 20 EUR mehr kosten würden.
- Die Telekom hat derzeit 12 Millionen Breitbandkunden.
Wenn wir nun ein bisschen mit diesen Zahlen rechnen fallen ein paar Diskrepanzen auf.
„8 Milliarden für den Netzausbau“
Wenn von 12 Millionen Breitbandkunden nur 3% einen Aufpreis von 20 EUR im Monat zahlen müssen, dann sind das im Jahr Mehreinnahmen von 43,2 bis 86,4 Millionen Euro pro Jahr. Der angedachte Netzausbau wäre daher erst nach 92 Jahren finanziert. D.h. die Behauptung, man müsse den Schritt gehen um den Netzausbau zu finanzieren, ist falsch.
„Alternative wäre Preiserhöhung für Alle gewesen“
Wenn von 12 Millionen Breitbandkunden nur 3% einen Aufpreis von 20 EUR im Monat zahlen müssen, dann entspräche dies einer allgemeinen Preiserhöhung von 60 Cent für Alle. Stattdessen könnte man auch Rabattaktionen für Neukunden oder Onlinebesteller abschaffen und hätte sich die negative Publicity erspart.
„Nur 3% der Kunden sind betroffen“
Wenn der Durchschnittskunde derzeit 15 bis 20 GB pro Monat generiert und sich das Datenaufkommen bis 2016 vervierfachen soll, dann generiert der Durchschnittskunde 2016 bereits 60 bis 80 GB pro Monat. Entweder sind also mit technischer Einführung der Drosselung 2016 bereits weitaus mehr Kunden betroffen als man heute behauptet oder aber irgendeine der Zahlen ist falsch.
Woher kommen diese Diskrepanzen?
Spätestens nach der Lektüre der beiden Heise-Artikel „Der stille Machtkampf“ (c’t 24/09) und „Schmalspur“ (c’t 08/11), die sich beide beinahe wie das Drehbuch zu den aktuellen Aktionen der Telekom lesen, drängt sich der Verdacht auf, dass man mit der angedrohten Drosselung eigentlich ein ganz anderes Ziel anstrebt und daher Zahlen gewählt hat, welche die breite Masse in Scheinsicherheit wiegen soll.
Man möchte die eigenen Breitbandkunden als „Drosselgeiseln“ missbrauchen, um damit große und erfolgreiche Content-Anbieter (z.B. YouTube) an den Verhandlungstisch zu zwingen. Diese sollen zukünftig für den zum Kunden transportierten Traffic bezahlen und sich somit von der Drosselung freikaufen (Stichwort „managed Services“, die die Telekom den Content-Anbietern zur Verfügung stellen will).
Das Internet, würde somit zu einer Ansammlung von „managed Services“ degenerieren, über die dann aber die Telekom und der Content-Anbieter gemeinsam volle Kontrolle hätten. Kleine Startups mit innovativen Ideen hätten kaum eine Chance, sich gegen die bestehenden Platzhirsche zu bewähren, weil die Einstiegshürden in die „managed Services“ zu hoch wären. Private Content-Anbieter (Blogger oder auch ganz normale Homepage-Betreiber) wären möglicherweise nur noch über eine „Kriechspur“ erreichbar. Das Internet, wie wir es heute kennen, würde nicht mehr länger existieren.
Nachtrag vom 06.06.2013:
Laut einem Artikel in der Welt vom 31.05.2013 gab die Telekom gegenüber des Bundesnetzagentur nun erstmals konkrete Zahlen heraus. Der Interessierte Leser kann obige Rechnungen ja mit den angepassten Zahlen nochmal selbst durchrechnen. 😉 An der löchrigen Argumentation ändern diese allerdings nichts.