Netzneutralität: Die getroffenen Hunde jaulen

Kaum hatte sich das EU-Parlament am 3. April 2014 im Rahmen des Telecom-Pakets zum digitalen Binnenmarkt für ernsthafte Netzneutralität ausgesprochen, gab es auch schon die Reaktionen der deutschen Branchenverbände BITKOM und VATM.

Der Abstimmung im EU-Parlament gingen monatelange Detailarbeiten am Entwurf der Netzneutralitätsverordnung voraus, bei denen der Industrieausschuss ITRE federführend war. Die anfängliche Fassung von Pilar Del Castillo sah – vermutlich dank intensiver Lobbyarbeit europäischer Ex-Monopolisten – relativ weit gefasste „specialised services“ – ein Äquivalent zu den 2013 geplanten „managed services“ der Telekom – vor und hätte damit die Netzneutralität nicht bewahrt sondern erst ihre Umgehung ermöglicht. Die vom ITRE am 18. März 2014 verabschiedete Fassung enthielt zwar in vielen Punkten bereits Verbesserungen gegenüber der ersten Fassung, aus Sicht vieler Netzaktivisten bestanden aber noch zu viele Schlupflöcher, um die Netzneutralität auszuhebeln. Der nun vom EU-Parlament verabschiedete Text ist aber um viele dieser Schwachstellen bereinigt worden und geht in manchen Punkten sogar über Vorschläge hinaus, die Wochen zuvor noch im Ausschuss abgelehnt wurden.

Während der Beratungen im ITRE hatte ich die Gelegenheit, mit unserer Europaabgeordneten Angelika Niebler per E-Mail und auch telefonisch ausführlich über das Thema zu diskutieren. Die Aufgabe der Ausschussmitglieder war alles andere als leicht: Auf der einen Seite sollten sie das offene Internet bewahren, auf der anderen Seite aber auch QoS für Telemedizin o.ä. ermöglichen und darüberhinaus den Telekommunikationskonzernen erlauben, an der Wertschöpfung durch Content-Anbieter zu partizipieren. Letzteres ist natürlich auch ein verständliches Ziel. Der Comcast-Netflix-Deal in den USA zeigt, dass es für eine Telco auch ohne Bruch der Netzneutralität möglich ist, einen Content-Anbieter an Netzinvestitionen zu beteiligen. Ebenso sind Dienste wie Telemedizin mit der Netzneutralität vereinbar, wenn sie – wie in der nun verabschiedeten Formulierung – über eigene, logisch getrennte Kapazitäten (im All-IP-Zeitalter sozusagen der Nachfolger der klassischen Standleitung) realisiert werden.

Obwohl auch die jetzt verabschiedete Formulierung noch kleinere Ungenauigkeiten enthält, zeigt das „Geschrei“ der Branchenverbände, dass damit bereits ein grundlegender Schutz der Netzneutralität erreicht ist. Da sich die Telco-Branche im Vorfeld mit ihrer Lobby-Arbeit ganz darauf konzentriert hat, „welfare“-Dienste als Beispiele anzubringen, warum keine strenge Netzneutralität vorgeschrieben sein sollte, sind die jetzigen Proteste sogar unverständlich: Gerade solche Dienste sind von der jetzigen Fassung problemlos abgedeckt, weil sie unweigerlich eigene Kapazitäten und durchgängiges QoS erfordern. Dass nun aber doch Protest kommt, zeigt ganz klar, dass man tatsächlich eher an rein kommerziellen Diensten interessiert ist. Kommerzielle Dienste, die – ohne Netzneutralität – später wiederum zur Gefahr für „welfare“-Dienste werden könnten: Wer wird im Zweifelsfall mehr für einen „specialised service“ investieren können? Ein kommerzieller Videoanbieter für Streaming oder ein gemeinnütziges Klinikum für Telemedizin? Freilich wirbt es sich im Vorfeld weniger gut mit handfesten kommerziellen Interessen für priorisierte Dienste.

Mein Dank gilt allen EU-Parlamentariern, die sich in den Ausschüssen und im Parlament für ernsthafte Netzneutralität eingesetzt haben und ich hoffe, dass der Text, bis er endgültig in Kraft tritt, nicht ausgehöhlt wird.

Den Telcos wünsche ich, dass sie zukünftig sich und ihre Tarife an „das Netz“ anpassen und nicht umgekehrt das Netz an ihre alte, vermittlungsorientierte Denkweise. Die Kunden sind bereit, für Datentransport angemessen zu bezahlen, das heißt allerdings, dass die Kunden bestimmen wollen, mit wem sie wann und wie kommunizieren und dies nicht der Telco überlassen wollen.

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